Die schweigende Frau
Horror oder vergnügliche Chance
Waren Sie schon mal heiser? So richtig, ganz ohne Stimme über mehrere Tage? Mir ist das vor kurzem passiert! Natürlich genau dann, wenn es am unpassendsten ist. Und ich meine Stimme, mein Haupt-Handwerkszeug benötigt hatte. Zwei neue Kunden hatten mich als Trainerin engagiert. Zunächst lief alles nach Plan. Die ersten beiden Tage. Große Gruppe beim Kunden Nummer 1, kleiner Raum, 16 Leute. Die teilten sich in drei Fraktionen und zettelten immer wieder Diskussionen an über die Frage „Wer ist Schuld an was?“ Doch am zweiten Tag hatten alle verstanden, dass sie im selben Boot sitzen und dieselben Interessen verfolgen. Puhh, das war ganz schön anstrengend, ich fühlte mich eher als Dompteuse denn als Trainerin. Und freute mich auf den dritten und letzten Tag, um einen runden Abschluss hinzubekommen.
Doch beim Aufstehen war klar, bei mir läuft etwas völlig unrund! Mein Hals
kratzte, leichter Husten. Wie immer hatte ich meinen Medikamententäschchen
dabei – mit Hustentropfen und Halsschmerztabletten. Und die machten genau das,
was ich von ihnen erwartet hatte. Aufatmen. Das Seminar lief gut, die
Teilnehmer waren zufrieden und zum Abschluss bekam ich noch Feenstaub zu meinem
Feenstab – dazu mehr ein anderes Mal -, ganz bezaubernd verpackt. Ich war
gerührt.
Meine Stimme auch. Von Stunde zu Stunde löste sie sich mehr auf. Am nächsten
Morgen bei Kunde Nummer zwei, krächzte ich vor mich hin. Die Gruppe nahm es
belustigt hin und mit Hilfe eines Teilnehmers, den ich kurzerhand zum
Moderator-Assistenten ausbildete, konnte ich meine Stimme etwas schonen.
Leichte Panik stieg in mir auf: Was ist, wenn morgen meine Stimme ganz weg ist?
Wie soll das gehen? Ach du grüne Neune!
Und sie war weg! Nichts ging mehr am Freitag! Da hieß es improvisieren!
Alles was ich sagen wollte, schrieb ich auf ein Flipchart. Dauerte zwar etwas,
doch hatte den Vorteil, dass alle gespannt warteten, was ich schreibe bzw.
sagen will. Und nimmt enorm Tempo raus. Mit den sprichwörtlichen Händen und
Füßen, Moderationskarten, Moderations-Assistent und unzähligen vollgeschriebene
Flipcharts und Whiteboards und einer hoch motivierten Truppe hatten wir am Ende
ein tolles Ergebnis. Und top dokumentiert.
Ich war noch weitere fünf Tage ohne Stimme. Mit meinem Mann kommunizierte ich
mit Zettelchen und per Handzeichen. Wenn wir Leute beim Spaziergehen getroffen
haben, informierte der Mann an meiner Seite über die Lage und alle fanden es
lustig: „Ah, dann kommst du jetzt endlich auch zu Wort, wenn Heidi nicht
sprechen kann“ oder „Endlich mal Ruhe bei euch daheim“. Und ich stand daneben,
konnte mich verbal nicht wehren und hatte das Gefühl, nicht nur meine Stimme
hatte sich verabschiedet, sondern auch mein Verstand! Da wurde gelästert und
über mich gesprochen, so als ob ich gar nicht da wäre. Irgendwie merkwürdig.
Oder fällt mir das sonst nicht auf, bei gegenseitigem Frotzeln, wenn Sätze in
Pingpong-Manier hin- und herfliegen? Und ich als aktive Wortspielerin dabei bin?
Mir wurde in meinem stimmlosen Tagen klar, wie viel über Sprache geht, wie
wichtig Gespräche sind – und seien sie noch so kurz: Smalltalk eben mit der
Nachbarin, im Schrebergarten oder in meinem Stammcafé. Und wie es sich anfühlt,
nicht sprechen zu können, nicht mal einen Tee bestellen zu können ohne
„Sprachrohr“ und eben dann auch gefühlt in dem Moment irgendwie nicht richtig
dazuzugehören und sich mitteilen zu können. Komisch war auch: Das Telefon
klingelt und ich brauche erst gar nicht ranzugehen, kann ja eh nichts sagen…
Unfreiwillige Stressreduzierung.
Oft beschäftigte mich die Frage: Was wäre, wenn meine Stimme für immer weg
bliebe? Ein paar Horrorszenarien habe ich durchdacht. Doch ich bin froh, dass
ich mich mit denen nicht weiter beschäftigen muss und meine
Berufsunfähigkeits-Versicherung auch nicht benötige. Denn meine Stimme ist
wieder da. Und ich hege und pflege sie so oft als möglich. Versprochen!









